Deutschlands Kritik an Russland ist unangemessen

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Erhard Eppler*, eine Persönlichkeit, die es versteht, politische Zusammenhänge zu erklären und über den Tag hinaus zu denken, mahnt uns Deutsche, Russland nicht ohne „selbstkritische Reflexion“ zu kritisieren. So wie es bisher geschieht, sei „die Kritik der Deutschen an Russland nicht angemessen“.

Der nachfolgende Text erschien zuerst unter der Überschrift „Probier´s mal mit Überheblichkeit“ in der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 26.November 2012. Wir danken Herrn Eppler und der SZ für ihre Genehmigung zur ungekürzten Veröffentlichung auf „Bürgersicht“.

Deutsch-russische Beziehunge: Bescheidenheit könnte uns nicht schaden

Ein Gastbeitrag von Erhard Eppler

Die Kritik der Deutschen an Russland ist unangemessen. Wir sollten uns eines abgewöhnen: die Belehrung des Zurückgebliebenen durch den Fortgeschrittenen, des nicht so Guten durch den ach so Guten. Europa braucht ein gedeihliches Verhältnis zu einem Russland, das es sich nicht malen kann. Und dafür trägt Deutschland die Hauptverantwortung.

Es war an einem vorübergehend ruhigen Abschnitt der Westfront im Dezember 1944. Im Keller eines Wohnhauses lagen ein paar Landser und plauderten, ehe sie zu schlafen versuchten. Ein alter Obergefreiter erzählte vom Einbruch des Winters 1941 vor Moskau. Jämmerlich gefroren hätten sie, Kleidung und Schuhwerk sei nichts für den russischen Winter gewesen. Ein paar russische Gefangene allerdings hätten wunderbare warme Filzstiefel angehabt. Und dann hätten sie, die Frierenden, die paar Russen eben umgelegt, um an die Stiefel zu kommen.

Der das fröhlich erzählte, war kein Nazi. Er hasste die braunen Bonzen. Ein stiller Zuhörer, damals 18 Jahre alt, war der Autor dieser Zeilen. Er, der Grünschnabel, sagte nichts. Aber er hat es nie vergessen.

Was er auch nicht vergessen hat, sind die Auswirkungen des Kalten Krieges auf unser kollektives Gedächtnis. Wir Deutschen haben inzwischen begriffen, was wir den Juden angetan haben. Was wir in Russland angerichtet haben, war lange tabu. Im Kalten Krieg waren dort die Bösen und hier die Guten. Dass diese Guten Millionen russischer Kriegsgefangener verhungern ließen, dass insgesamt 20 Millionen Menschen aus der Sowjetunion, Soldaten und Zivilisten, ihr Leben lassen mussten, dass die Überlebenden versklavt werden sollten, das ist nie so in unser Bewusstsein eingedrungen wie der Judenmord.

Schon Adenauer agierte aus einer Attitüde moralischer Überlegenheit

Im Gedächtnis geblieben ist vor allem die grausige Rache der Sieger. Schon Adenauer redete über die „Soffjetunion“ aus einer Attitüde moralischer Überlegenheit. Das tun wir bis heute, wenn es um Russland geht.

Warum nur wählt die Mehrheit der Russen jenen Putin, von dem wir so wenig halten? Vielleicht weil sie – auch wegen der Katastrophe des „großen vaterländischen Krieges“ – nicht unbedingt eine Demokratie nach westlichem Muster wollen, sondern ein geordnetes, starkes Russland, das ihnen Sicherheit verspricht, nach innen und nach außen. Was bei uns fast vergessen ist: Der Überfall, der Vernichtungskrieg und seine Folgen, ist in jeder russischen Familie präsent. Es gibt kaum eine Familie, die kein Opfer betrauert.

Seite 2 – Außenpolitik hat ihre eigenen Gesetze

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

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